Theorie und Praxis

  • J. Kiesinger
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#8273 by J. Kiesinger
Theorie und Praxis was created by J. Kiesinger
In der einschlägigen Literatur zur ISO 9000 Normenreihe heißt es immer, dass das QMS aus der Firma heraus entwickelt werden soll und nicht ein bestimmter Ansatz der Firma "übergestülpt" werden soll. Dann werden es auch alle Beteiligten mit Begeisterung annehmen. Eigentlich ganz nachvollziehbar. Ich bin nun dabei, in einer Firma von ca. 30 Mitarbeitern ein solches System umzusetzen. Ziel der Geschäftsführung ist die Zertifizierung. Bei der Bestandsaufnahme der bereits vorhandenen Qualitätsmanagementansätze merke ich jedoch zum einem die geringe Begeisterung der Mitarbeiter (Motto: Es läuft eh ganz toll!) zum anderen dass die Anforderungen der Norm einen doch in ein bestimmtes Korsett zwingen. Bsp.: Aufzeichnungen über Lieferantenbewertungen 7.4.1
Auch bisher werden Lieferanten in unserer Firma "bewertet", aber es werden keine (schriftlichen) Aufzeichnungen darüber geführt. Im übrigen werden die Lieferanten zumindest bei den Standardprodukten (Hardware für Computerfertigung) nach dem Preis ausgewählt und somit herscht doch ein gewisser Wechsel bei den Lieferanten.
Es fällt mir also schwer, diese Ansätze des QM zu vermitteln ohne als der Verursacher einer Dokumentationsflut zu sein, die keiner für notwendig hält. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht und welche Tipps könnten Sie mir geben?
Bin um jeden Ratschlag dankbar!
P.S.: Meine Infoveranstaltung über das Projekt ISO 9001 und anschließender Diskussion zeigte, dass die Mitarbeiter nur schwer vom QMS- Gedanken nach ISO 9000 zu überzeugen sind.



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  • Hanno Kleist
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#8274 by Hanno Kleist
Replied by Hanno Kleist on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo!
Die Probleme in Ihrem Fall sind mir aus meiner eigenen Beratertätigkeit sehr gut bekannt. Zum Punkt der Lieferantenbewertung ist es ausreichend darzustellen, dass alle die Lieferanten nur nach Preis ausgewählt werden, bei denen entweder ein vergleichbarer Qualitätsstandard nachweisbar ist oder deren Produktqualität oder z.B. Termintreue nachweisbar nicht qualitätsrelevant für das eigene Produkt sind. Lässt sich dies nicht schlüssig in den Lieferantenbewertungen darstellen, dann kommen Sie um eine individuelle Bewertung nicht herum. Ein Sonderbeispiel aus der Praxis: Bei einem Lieferanten, der Einzel- oder Sonderanfertigungen aufgrund seines Knowhow oder seiner Produktionsprozesse konkurrenzlos durchführen kann und diese Produkte unverzichtbare Komponenten darstellen, bei dem kann man sich jede Lieferantenbewertung dahingehend sparen, dass man ihn nie sperren kann. Allerdings lassen sich die hier gesammelten Bewertungen für Korrektur- oder Vorbeugemassnahmen verwenden, da zwar nicht der Lieferant gewechselt werden kann, aber das Produkt muss deshalb noch lange nicht einfach so akzeptiert werden.
Was die fehlende Akzeptanz bei den Mitarbeitern angeht, so hat dies zum Teil mit Widerständen gegen erforderliche Änderungen im eigen Arbeitsumfeld zu tun, zum Teil liegt es häufig auch an einer fehlenden Rückendeckung des QMBs durch die Geschäftsführung. Allen Mitarbeitern muss klar sein, dass es bei der Einfürung des QMS um eine Arbeitsanweisung geht. Motivation durch honorierte Verbesserungsvorschläge oder einfach durch besondere Aufmerksamkeit der GF gegenüber kreativen und willigen Mitarbeitern können hier hilfreich sein.
Gruß Hanno Kleist



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  • Wolfgang Horn
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#8276 by Wolfgang Horn
Replied by Wolfgang Horn on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo, Herr/Frau Kiesinger,
wer seinen Mitarbeitern Mühen zumutet, die den Mitarbeitern sinnlos scheinen, der bestraft sich selbst mit
a) Verlust an Vertrauen der Mitarbeiter in ihn,
b) Minderflexibilität, Verlust an Führungswirksamkeit. Das heißt, seine Leute werden kritischer und distanzierter. Sie sind nicht mehr "mit leichter Hand zu führen", sondern man muß mehr Zeit und Druck aufwenden. Was die Situation weiter verschlechtert.
c) Innere Kündigung, abnehmende Identifikation gegenüber der eigenen Arbeit. Zumindest Schritte in diese Richtung.
d) Minderproduktivit.
e) Steigende Qualitätskosten.
f) Minderergebnisse.
g) Rückfall im Wettbewerb.
Dies betrifft nicht nur den, der seine Leute erst Gruben ausheben und dann wieder mit demselben Abraum füllen läßt, sondern auch dessen Chef. Wenn der Unternehmer toleriert, daß in seinem Namen als sinnlos empfundene Mehrmühen angeordnet werden, dann sinkt auch das Vertrauen in ihn mit denselben Folgen.
Dabei ist es egal, ob das von den Mitarbeitern als sinnlos empfundene Arbeitspaket von außen "übergestülpt" wurde oder von einer Person innerhalb des Unternehmens kommt.
Manche meinen, mit einem knackigen Werbefeldzug bei seinen Mitarbeitern könne man Begeisterung wecken.
Quatsch. Sicher kann ein Tschaka-Tschaka-Zauberguru die Leute so aufpeitschen, wie es Joseph Goebbels im Sportpalast "wollt ihr den totalen Krieg?" ...."JAAAAA!!!" in extremer Form geschafft/verbrochen hat. Aber sobald die merken, manipuliert worden zu sein, kriegen diejenigen, die diesen Guru beauftragt oder als Verantwortlicher die Beauftragung toleriert haben, kein Fuß mehr auf den Boden. Sie haben das Vertrauen in sie selbst zerstört.
Nein, jede Mühe "im Namen der Qualität" muß zugleich eine Mühe sein, die der Arbeitnehmer aus der Einsicht tut, sie sei notwendig für seine eigenen Ziele.
Deshalb greift das Ziel Zertifizierung zu kurz. Was hat der Mitarbeiter davon?
Also macht er nur mürrisch mit. Mit Ausnahme derjenigen, die mit dieser Maßnahme persönliche Ziele verbinden wie "Karriere", "Vorteil gegenüber Kollegen durch Demonstration besonderer Willigkeit" oder "alte Rechnungen begleichen" oder was auch immer. Das aber weniger wert ist als der Einsatz "Ich tue das, weil es gut ist für meine Firma und meine Zukunft!"
Vorschlag: Stellen Sie das Ziel "Zertifizierung" als Zwischenziel heraus für ein höheres Ziel wie "Wettbewerbsvorteile, Aufträge, Zukunft".
Aber nicht nur behaupten, sondern aufzeigen, wie jeder mühevolle Handschlag oder Gedanken zum Vorteil für alle wird.
(Das muß er auch sein, wo gilt
"Management ist der Beruf, für Zukunft und Wachstum der eigenen Unternehmenseinheit und des Unternehmens a) überdurchschnittliche Resultate zu erwirken und b) überdurchschnittliche Steigerung der Produktivität.")
Mit sinnlosen Mühen steigern Sie weder Qualität noch Produktivität. Im Gegenteil. Sinnlose Mühen sind daher auch nicht im Interesse Ihrer Kunden. Allenfalls im Sinne eines prinzipienreitenden QMB-Kreuzritters beim Kunden.
Nach der unglücklich ausgegangenen Info-Veranstaltung könnte es heißen: "Unser QMB war nicht gut genug" und plötzlich schmiegt sich eine Sündenbockschlinge um Ihren Hals.
Obwohl Ihre Geschäftsführung den Fehler gemacht hat, nicht aufzuzeigen, wie die Maßnahme den Interessen aller dient.
Aber das läßt sich nachholen. Und falls der Return der Kosten und Mühen für Unternehmen und Mitarbeiter nicht aufgezeigt werden, wird kein vernünftiger Chef die Maßnahme wollen.
Hier auch die Begründung, was "aus der Firma heraus entwickelt werden soll". Das ist keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Auditoren und Berater in Sachen Qualität. Sondern um Verluste an Produktivität durch frustrierte, innerlich gekündigte Mitarbeiter zu vermeiden, setzt man sich zusammen und überlegt, was für Zukunft und Wachstum der Firma wirklich notwendig und sinnvoll ist.
Das sollte Ihnen erst mal weiter helfen.
Ciao
Wolfgang Horn



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  • Andreas
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#8277 by Andreas
Replied by Andreas on topic Re: Theorie und Praxis
Ein Dank an meine Vorredner, sie haben mir aus der Seele gesprochen.
Allerdings, wie das Thema bereits sagt, ist dies der Unterschied zwischen THEORIE und PRAXIS.
Leider hat Herr Horn keine klare Aussage dazu gemacht, was denn passiert, wenn ein Punkt der Norm, wie z.B. die Lieferantenbewertung, kpl. weggelassen wird. Einmal oder vielleicht auch zweimal kann ich dem Auditor erzählen, dass man(n) an der Sache arbeitet, aber dann möchte er, wenn wir einen guten Auditor haben, die Ergebnisse sehen.
Auch Herr Kleist hat natürlich recht, wenn er schreibt, dass die GF hinter einem stehen muß, aber wenn nicht? Soll ich meinen Job kündigen, wenn er mir trotzdem Spaß macht, die Kollegen toll sind und..., ja und nach nicht einmal 3 Jahren wieder wechseln, dass sieht in der Bewerbung auch nicht besonders gut aus.
Also was machen? Ausharren und das "sinkende" Schiff in 2 Jahren dann doch verlassen oder weiter kämpfen und vielleicht doch ein paar wenige von deiner Illusion überzeugen?
Ich denke, es lohnt sich auf jeden Fall zu kämpfen und vielleicht wird die Schar der "QM'ler" immer größer.
Gruss Andreas
NS: Vermutlich habe ich vielen QM'lerInnen aus der Seele gesprochen, das Los eines Qualitäters ist nicht einfach und schon gar nicht die "richtige" Firma zu finden.


: Hallo!
: Die Probleme in Ihrem Fall sind mir aus meiner eigenen Beratertätigkeit sehr gut bekannt. Zum Punkt der Lieferantenbewertung ist es ausreichend darzustellen, dass alle die Lieferanten nur nach Preis ausgewählt werden, bei denen entweder ein vergleichbarer Qualitätsstandard nachweisbar ist oder deren Produktqualität oder z.B. Termintreue nachweisbar nicht qualitätsrelevant für das eigene Produkt sind. Lässt sich dies nicht schlüssig in den Lieferantenbewertungen darstellen, dann kommen Sie um eine individuelle Bewertung nicht herum. Ein Sonderbeispiel aus der Praxis: Bei einem Lieferanten, der Einzel- oder Sonderanfertigungen aufgrund seines Knowhow oder seiner Produktionsprozesse konkurrenzlos durchführen kann und diese Produkte unverzichtbare Komponenten darstellen, bei dem kann man sich jede Lieferantenbewertung dahingehend sparen, dass man ihn nie sperren kann. Allerdings lassen sich die hier gesammelten Bewertungen für Korrektur- oder Vorbeugemassnahmen verwenden, da zwar nicht der Lieferant gewechselt werden kann, aber das Produkt muss deshalb noch lange nicht einfach so akzeptiert werden.
: Was die fehlende Akzeptanz bei den Mitarbeitern angeht, so hat dies zum Teil mit Widerständen gegen erforderliche Änderungen im eigen Arbeitsumfeld zu tun, zum Teil liegt es häufig auch an einer fehlenden Rückendeckung des QMBs durch die Geschäftsführung. Allen Mitarbeitern muss klar sein, dass es bei der Einfürung des QMS um eine Arbeitsanweisung geht. Motivation durch honorierte Verbesserungsvorschläge oder einfach durch besondere Aufmerksamkeit der GF gegenüber kreativen und willigen Mitarbeitern können hier hilfreich sein.
: Gruß Hanno Kleist




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  • kiesinger
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#8278 by kiesinger
Replied by kiesinger on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo Herr Horn,
ich möchte nicht behaupten, dass meine infoveranstaltung unglücklich ausgegangen ist. ich hätte halt mehr begeisterung für das thema erwartet. auch habe ich hierbei nicht nur auf die zertifizierung abgestellt, sondern vor allem den aspekt der zukunftssicherung für das unternehmen herausgestellt. und machen wir uns doch bitte nichts vor: selbstverständlich ist die zertifizierung der auschlaggebende punkt, weshalb man beginnt, sich mit dem thema iso 9000 auseinanderzusetzen. fakt ist auch, dass das unternehmen sehr gut läuft und wächst, folglich die mitarbeiter bereits mit ihrem tagesgeschäft ausgelastet sind. außerdem bestehen ja bereits maßnahmen zur qualitätsssicherung, nur halt nicht unbedingt in der form die vielleicht von der norm gefordert werden.
ich bin kein externer berater und habe mit diesem thema bisher noch keine erfahrungen gesammelt. von vorteil ist jedoch, dass ich sowohl die firma als auch die abläufe sehr gut kenne.
ich bin von dem iso gedanken überzeugt und denke auch, dass die mitarbeiter bereit sind mitzumachen. aber die ganze geschichte darf nicht zum selbstzweck generieren.
oder wie sehen sie das?

mit freundlichem gruß
kiesinger




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  • Hanno Kleist
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#8288 by Hanno Kleist
Replied by Hanno Kleist on topic Re: Theorie und Praxis
Andreas hat völlig recht mit dem Einwand, was denn passieren soll, wenn die GF nicht hinter einem steht! Die fachlichen und menschlichen Anforderungen an einen QMB können daher je nach Situation sehr hoch sein. Nicht umsonst legt zumindest der TÜV bei seiner Fortbildung für QMBs ebenso grossen Wert auf die Vermittlung von Fähigkeiten im Bereich Kommunikation und Moderation. Dies führt immer wieder in Seminaren zu Diskussionen zwischen einigen Kursteilnehmern und der Seminarleitung, da viele der Ansicht sind dieses Wissen nicht zu benötigen und nur Kenntnis über die Norm erhalten zu wollen.
Leider ist es in der heutigen Zeit in einigen Unternehmen üblich Mitarbeiter mit der Aufgabe eines QMB zu betrauen, die von der GF
- weder eine Schulung über QM finanziert bekommen,
- noch Mittel für Literatur erhalten,
- noch eine Unterstützung durch einen externen Berater bekommen,
- noch mind. eine Viertelstelle als QMB gewährt bekommen,
aber die GF erwartet von dem QMB das Unternehmen erfolgreich durch eine Erstzertifizierung zu führen. Eventuell handelt es sich bei den betreffenden Mitarbeitern sogar um Werksstudenten oder Azubis... - ein Werksstudent oder Azubi ist in dieser Funktion bzw. Stellung einfach nicht glaubwürdig als "Beauftragter der obersten Leitung"!
Glücklicherweise gibt es immer wieder externe Auditoren, die diese Situation durchschauen und eine Zertifizierung (selbstverständlich) begründet verweigern, auch wenn hierdurch wiederum der Arbeitsplatz des verantwortlichen Mitarbeiters als QMB gefährdet wird. Als betroffener Mitarbeiter in Funktion eines QMB mit diesen Randbedingungen muss ich mir dessen bewusst sein! Da hilft dann auch nicht, dass die Tätigkeit Spass macht, wenn sie denn auf einen Misserfolg hinausläuft. Solch ein Mitarbeiter lässt sich von der GF verheizen...
Mir kommt es hier einfach auf eine realistische Einschätzung der Situation, Randbedingungen und der eigenen Fähigkeiten und Perspektiven an!
Gruß Hanno



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