Theorie und Praxis

  • Vivian
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#8293 by Vivian
Replied by Vivian on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo Frau/Herr Kiesinger,
Begeisterung und Motivation muss wachsen.
Ich kenne eigentlich keinen QM-Kollegen, der die Mitarbeiter mit einer ersten Infoveranstaltung umfassend begeistern konnte.
Ich habe in meiner ersten Infoveranstaltung folgende Eindrücke gesammelt:
- Skepsis - jetzt schaut uns jemand auf die Finger
- Murren - jetzt müssen wir neben unserer eh schon ausreichenden Arbeit noch zusätzliche Leistungen erbringen
- bis jetzt ist doch alles gut gelaufen - nichts passiert
- Bürokratie - jetzt müssen wir alles aufschreiben, wir sind doch keine Papiertieger, wir wollen nur unsere Arbeit gut machen (d. h. den Drehmomentschlüssel in die Hand nehmen, die Schraube anziehen und nicht darüber nachdenken, wie)
- warum Papier durch die Gegend schicken, wir wissen doch eh alle Bescheid und sehen uns täglich (ein Laster vor allem der kleinen Unternehmen - später wachsen sie und stellen fest, ihre Kommunikationswege funktionieren nicht mehr)Problematisch wird es wenn sie schnell wachsen, das kann zum unkontrollierten Wuchern der internen Organisation ausarten.
usw. usw.
Ich habe in der Info-Veranstaltung lediglich versucht, die Mitarbeiter neugierig zu machen und vor allem die Interessen der Kunden zu verdeutlichen. Wenn sie das Unternehmen gut kennen, können sie vielleicht auch mit Verbesserungsmaßnahmen zugunsten der Mitarbeiter locken können.
Anschließend habe ich ganz gezielt nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht. Ich habe beim Ingenieurpersonal einen lange Liste von Tätigkeiten gefunden, die man auf geringer qualifiziertes Personal verlagern könnte. Das war ein klasse Hilfsmittel, immer wenn ich unsere Ingenieure zu "Mehrarbeit" für das QMS verdonnern wollte, habe ich gleichzeitig versucht, eine meist noch ungeliebtere Tätigkeit zu verlagern. Es ist deutlich leichter einem Mitarbeiter eine Dokumentationspflicht aufzuerlegen und ihm gleichzeitig z. B. Beschaffungsangelegenheiten abzunehmen.
Natürlich darf eine überzeugende Begründung der zusätzlichen Maßnahme nicht fehlen.
Die Mitarbeiter wollen überzeugt werden. Je besser man zu Beginn überzeugt, desto mehr Vertrauen fassen die Mitarbeiter und die Bereitschaft für die Mitwirkung wächst.
Solche Verlagerungsmaßnahmen sind übrigens auch kostenmäßig recht interessant.
Passen sie jedoch auf die Führungskultur und Ziele ihrer Geschäftleitung auf! Nicht immer lässt sich die QM-Philosophie mit den Vorstellungen der GL vereinbaren. Es wird ihnen nicht gelingen, ihre Mitarbeiter zu motivieren, wenn die GL sie nicht bei Ihrem Kurs unterstützt, auf zu kurzfristige Ergebnisse setzt oder Angst hat, dass die Unternehmensorganisation mit dem Aufbau eines QMS u. U. eine andere Handschrift erhält. Bevor Mitarbeiter bereit sind, sich für etwas einzusetzen, werden sie immer schauen, welche Ziele der nächst höhere Vorgesetzte vorgibt. Wenn diese Ziele nicht mit den von ihnen kommunizierten Zielen harmonieren, werden sie irgendwann als sehr unglücklicher QMB enden.
Viel Erfolg
Vivian




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  • Vivian
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#8294 by Vivian
Replied by Vivian on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo
von manchen Unternehmen muss man sich als QMB trennen.
Wenn man sich über einen längeren Zeitraum für Resultate verantworlicht machen lässt, die man nicht steuern konnte, wird man irgendwann sicher "unehrenhaft" wegen offensichtlicher Unfähigkeit entlassen.
Man muss ganz klar für sich entscheiden, mit welchen Kompromissen man leben kann und möchte. Ich könnte mich z. B. gut mit der Rolle eines QMB's anfreunden, der in einer Teilefertigung arbeitet und Produktmerkmale misst. Dann kann ich immer auf die Maschine, den Produktionsprozess oder auch auf den Mitarbeiter zeigen, der den Fehler verursacht hat. Viele Firmen reduzieren ihren QMB immer noch auf den Qualitätsprüfer.
Sobald jedoch das Managementaspekte gefragt sind und die Führungsqualität ins Spiel kommt, treten zwischenmenschliche Probleme, Zielkonflikte, Kommunikationsprobleme, Erfahrungslastigkeit, unterschiedliche Qualifikationsprofile ja sogar Lebenseinstellungen zu Tage. Wenn man als QMB diese Aspekte mit der GL nicht in Einklang bringen kann bzw. die GL den QMB nicht auf Augenhöhe betrachtet und ihm das nötige Vertrauen und Wertschätzung verweigert, geht's auf Kollisionskurs.
Tolle Mitarbeiter sind i. d. R. nicht alles. Mein Gehalt und meine Beurteilung hängt von meinem direkten Vorgesetzten und der Wertschätzung meiner Person durch ihn ab.
Gruß
Vivian



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  • Wolfgang Horn
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#8300 by Wolfgang Horn
Replied by Wolfgang Horn on topic Re: Theorie und Praxis
Hi, Herr Kiesinger,
: ich hätte halt mehr begeisterung für das thema erwartet.
Begeisterung können wir nicht erwarten, ohne daß wir die notwendigen Voraussetzungen dafür erkannt oder geschaffen haben.
Hier aber schwächeln gleich zwei Voraussetzungen. Auch, wenn die Qualitätsliteratur beide nicht so besonders herausstellt:
1.: "..fakt ist auch, dass das unternehmen sehr gut läuft und wächst,
2.: "..folglich die mitarbeiter bereits mit ihrem tagesgeschäft ausgelastet sind."
Wegen 1. fehlt der Leidensdruck. Und Ihrer Beschreibung nach gab's auch keinen Lust-Zug, das Gegenteil von Leidensdruck, aber mit einer noch besseren motivierenden Wirkung.
Wozu also etwas ändern? Der Vorteil für alle, für noch mehr Zukunft und Wachstum muß erst klar sein, ohne dem keine Aussicht auf Begeisterung.
Wegen 2. erwartet aber jeder, die Einführung eines QMS mit seiner Bürokratie bedeute für ihn mehr Mühen und Kosten und erschwere ihm die Erfüllung seiner vereinbarten Ziele.
Wegen des Schwächelns allein dieser Voraussetzungen hätte selbst ein Halbgott an Ihrer Stelle keine anhaltende Begeisterung auslösen können.
": sondern vor allem den aspekt der zukunftssicherung für das unternehmen herausgestellt."
Das ist gut - aber besonders schwierig, wenn das Unternehmen so schon "brummt" und mehr Arbeit hat als Leute.
Ohne anschauliche Analyse der Konkurrenzsituation mit klar erkennbaren Alarmzeichen können wir von vernünftigen Mitarbietern keine Bereitschaft zu zusätzlichen Mühen erwarten. Allenfalls die Bereitschaft zur guten Miene und zum kostenlosen Lippen-Commitment.
Was könnte man in dieser Situation noch machen? Das beste ist wohl die Analyse der Konkurrenzsituation. Vielleicht unterstützt Sie sogar Ihr Schlüsselkunde, der ist ja auch interessiert, daß Ihre Leute Qualitätsarbeut nicht als Zwang und Last empfinden, sondern als selbstverständliche Praxis.
Ich habe als Kunde mit Vergnügen meinem Lieferanten gezeigt, wie er mit mehr Qualität uns unnötige Kosten ersparen - und sogar seine Verkaufspreise an uns erhöhen kann. Zu beiderseitigem Vorteil.
Die Konkurrenzanalyse betone ich deshalb, weil die Fokussierung auf den Kunden allein zu leicht zur Preisdrückerei führt.
Ciao
Wolfgang Horn



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  • Stephan Marx
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#8359 by Stephan Marx
Replied by Stephan Marx on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo in die Runde;
ich habe als Praktikant für die Zertifizierung in einem Unternehmen gearbeitet und musste verschiedene Phänomene feststellen:
-Misstrauen,
-kein Verständnis,
-kein Wissen,
-Angst vor Mehrarbeit
Ich war der Puffer zwischen den Abteilungen und der QS...
Meine Erfahrungen zeigen, dass ein guter Workshop vorab, alle Beteiligten auf ein gleiches Wissensniveau bringt...
Wieso?
Der Qualitätsbeauftragter hat doch das wissen im Unternehmen...okay, das stimmt, aber ein Externer kann mal ganz ungeniert über Probleme reden und einen Einstieg in die Thematik bringen, die alle von den verschiedenen Lagern abholt...
Okay, diese Schulung kostet was, aber man holt es durch produktivere Zusammenarbeit wieder ein und die Mitarbeiter unterstützen einem anders als vorher, da sie es einsehen, dass es nicht nur Dokumenteproduktion ist...
Aber es hängt sehr viel von der Moderation ab in der Infoveranstaltung und genauso in der späteren Teamarbeit.
Andererseits habe ich meine Kollegen überzeugt, dass ich jedes Dokument und jede Checkliste auf die Notwendigkeit und den Umfang hin überprüfe und nur bestand haben kann, wenn sie wirklich so gelebt werden kann und im ALltagsgeschäft auch realisiert werden kann...
Das überzeugte die meisten und man bekam sehr gute und konstruktive Kritik bezüglich dieser Dokkumente, so dass man sich gegenseitig unterstützte...
Ich hoffe, ich konnte ein bißchen zum Thema beitragen...
Mit freundlichem Gruss
Stephan Marx




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  • Wolfgang Horn
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#8384 by Wolfgang Horn
Replied by Wolfgang Horn on topic Re: Theorie und Praxis
Hallo, Stephan,
alles im Prinzip richtig.
Aber: Neulinge brauchen zum Handeln eine Anleitung. Könner brauchen sie nicht, und deshalb machen sie sich oft auch keine Gedanken darüber.
Oder wissen Sie, Stephan, wie Sie ihr Gleichgewicht halten? Haben Sie dafür einen Prozeß, eine Anleitung?
Anleitungen bekommen wir nicht durch das Nennen von Schlagworten wie "Gleichgewicht halten!", "Mißtrauen abbauen" oder "Charisma! Wenden sie sich an ihren Gott für diese Göttergabe!".
Sondern wir bekommen sie wie in der Technik auch: Indem wir einem Könner zuschauen, selbst probieren und er uns anleitet.
Oder aus Naturgesetzen könnte jeder Kundige selbst ableiten, warum ein Perpetuum mobile nicht machbar ist.
Wenn Sie diese bewährte Sichtweise aus der Technik auf die ach so mystischen Soft Facts übertragen, dann erkennen sie, daß "gute Moderation" zwar nützlich ist, aber nicht das Aussshclaggebende.
Ciao
Wolfgang Horn



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